Es wird in Zukunft wichtig sein, ganz genau hinzuschauen, wer die Menschen sind, die dich tragen, die dich unterstützen.

Auszüge aus einem Gespräch mit Stefania Pitscheider Soraperra, Direktorin des Frauenmuseum Hittisau, über die Auswirkungen und Chancen der Corona-Pandemie, über gesellschaftliche Trägerschaft, Beziehungsarbeit, Dialogbereitschaft und die Notwendigkeit kultureller Nahversorgung.

Der Schock, dass man so schnell gezwungen war, alles abzudrehen, verbunden mit vielen Zukunftssorgen, sitzt noch tief. Was Stefania Pitscheider Soraperra und ihr kleines Team in 20 Jahren politischer Überzeugungsarbeit aufgebaut haben, scheint nun “wie gewonnen, so zerronnen”. Dennoch zeigt sich gerade in der Krise, wie wirkungsvoll die Arbeit des Frauenmuseums ist. Eine „kulturelle Nahversorgung“, die auf der Beziehung zu den Menschen und dem Dialog mit ihnen aufbaut.

Wir sehen gerade jetzt in der Corona-Zeit, dass die gesellschaftliche Trägerschaft, auf der unser Museum basiert, vorhanden und stark ist. Sie besteht aus den vielen Menschen, die im Förderverein Mitglied sind, die einfach gut finden, was wir machen und uns unterstützen. Da macht sich die Arbeit der letzten 20 Jahre bezahlt, wo wir sehr viel Wert gelegt haben auf Inklusion, auf Partizipation, auf Strategien, um Menschen an dieses Haus zu binden. Wenn wir in die Zukunft denken, wird das für kleine wie große Häuser mit Sicherheit wichtig sein, ganz genau hinzuschauen, wer die Menschen sind, die dich tragen, die dich unterstützen. (…)

Dieses “immer größer, immer schneller, immer mehr” ist eine Negativ-Spirale, die sich nach oben dreht.

Der Kulturbereich jammert zwar über die Wirtschaft und über die Globalisierung, aber in Wahrheit spielen wir alle mir. Ich plädiere schon lange und ganz dezidiert dafür, mehr in die Tiefe zu gehen und unsere Produktionen länger laufen zu lassen. Dass wir Bewusstseinsarbeit mit Jugendlichen machen müssen, und zwar nicht „en passant“, weil man das halt macht, sondern ganz gezielt und bewusst.

Ich habe ein tiefes Vertrauen darauf, dass Menschen Kultur brauchen. Für mich war ein absoluter Schlüsselmoment in der Corona-Krise das Singen von den Balkonen in Neapel. Das hat mich zutiefst berührt, weil ich das Gefühl hatte, das ist eine Kulturleistung! Das hat mir gezeigt, wie sehr Menschen kulturelle Betätigung brauchen. Das war die Quintessenz der Krise, dort müssen wir ansetzen und schauen, was die Menschen brauchen. Wir müssen uns darauf besinnen, was unsere wirkliche Rolle ist, damit wir die Legitimation nicht verliefen für das was wir tun. (…)

Wir bereiten geistige und seelische Nahrung für Menschen und müssen daher eine direkte Beziehung zu den Menschen finden, die mit uns zu tun haben.

Im Frauenmuseum tun wir das in mehrfacher Weise, zum Beispiel über unsere dislozierte Sammlung. Menschen übergeben uns temporär Objekte, die wir dokumentieren, katalogisieren und für die Nachwelt sichern. Die Objekte werden aber nicht im Museum aufbewahrt, sie gehen wieder zurück, aber anders als sie gekommen sind. Diese Objekte gehen angereichert mit Geschichte, mit Bedeutung und Kontext zurück, und das bewirkt etwas bei der Besitzerin/beim Besitzer. So entstehen nachhaltige, langjährige Beziehungen. Ein anderes Beispiel ist die Zusammensetzung unseres Teams. Unsere Kulturvermittlerinnen haben ganz unterschiedliche Backgrounds – von der Bäuerin über die Lehrerin, Historikerin oder Altenpflegerin bis zur Gender-Studies-Absolventin, von der 16-Jährigen bis zur 76-Jährigen.

Die Frage „Wer darf und soll sprechen im Museum?“ ist für uns eine zentrale. All jene sollen sprechen dürfen, die bereit sind, sich mit großem Engagement mit den jeweiligen Schwerpunktthemen des Museums auseinanderzusetzen, um dann mit dem Publikum in Beziehung zu treten. Das tut ausnahmslos jede der zwanzig Kulturvermittlerinnen. Das macht etwas mit unserer Institution, mit ihnen selbst, mit deren Familien, mit deren Umfeld.

Das ist gelebte Wirklichkeit und ich bin davon überzeugt, dass das tatsächlich Gesellschaft verändert. (…) Diese Zugänge öffnen Denkräume. Wir haben ja ein klares Mission-Statement, unsere Hauptaufgabe ist Kultur und Geschichte von Frauen sichtbar zu machen und zu dokumentieren. Damit haben wir eine viel klarere Mission als andere Institutionen, die breiter aufgestellt sind.

Durch unsere Arbeit wird sichtbar, dass sich Denkräume auftun und verschieben. Auch bei Menschen, bei denen man es vorher nicht erwartet hätte. Sie entwickeln ein Bewusstsein dafür, dass eine geschlechtergerechte Welt generell eine gerechtere ist, und dass es sich lohnt, auf Gleichbehandlung zu schauen.

Wir bekommen sehr viel Feedback und Zuspruch, in Emails, in Briefen, im direkten Gespräch. Was mit Sicherheit eine große Rolle spielt, ist die Politik des Museums, allen, die kommen, ein Gespräch anzubieten, zu erzählen: “Was tun wir hier? Wer sind wir? Was wollen wir?”. Aber auch zu fragen, „Was wünschen Sie sich von uns? Es ist wichtig, ein Bewusstsein für die kulturelle Nahversorgung zu schaffen.