Erwin K. Bauer

Alternativszenarien haben nun eine viel größere Chance. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die diese neuen Optionen nutzt, die sich in der unfreiwilligen Denkpause aufgetan haben.

Doris Rothauer befragte Erwin K. Bauer, Designer und Gründer des buero bauer, was uns die Covid-19 Krise über den Zustand unserer Gesellschaft aufgezeigt hat, welche Gesellschaft er sich in Zukunft wünscht, und welche Rolle Kunst & Kultur in dieser Gesellschaft spielen können?

Covid-19 zeigt uns, dass wir bei weitem noch nicht so global denken, wie wir tatsächlich vernetzt sind. Durch die Pandemie spürt man die Abhängigkeiten rund um den Globus stärker, aber aktuell versuchen alle Staaten, „das Problem“ getrennt voneinander durch Isolation zu lösen. Es entsteht ein Gefühl des Gegeneinander. Da hilft es auf die Gemeinschaften vor Ort zu schauen. Im Kleinen bzw. im Lokalen gab es viele Zeichen der Solidarität und des Respekts. Da wird das Miteinander verstärkt. (…)

Mit der Entschleunigung der Wirtschaft wurde die Dynamik des Konsumierens und Produzierens unterbrochen. Alternativszenarien haben nun eine größere Chance. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die diese neuen Optionen nutzt, die sich in dieser Denkpause aufgetan haben.

Was kann Design dazu beitragen?

Wie wir aktuell gut sehen können, überraschen uns immer neue Probleme. Design ist ein Werkzeug, um die Welt nach unseren Vorstellungen zu formen und Lösungen zu entwickeln. Um auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen besser reagieren zu können, brauchen wir kluges Design. Es stärkt die Resilienz.

Und was könnten Kunst und Kunstinstitutionen beitragen?

Man müsste einen neuen Humanismus mit starkem Gemeinschaftssinn in die Gesellschaft bringen, der zum großen Teil verloren gegangen ist. Hier sehe ich eine große Chance für die Kulturinstitutionen. Momentan sind sie vor allem Ausführende, die ein Produkt für einen Markt anbieten. Sie müssten wieder viel stärker gestaltend und gesellschaftlich wirksam tätig werden.

Was müsste sich dazu verändern, wie kommt man zurück in die gestaltende Rolle?

Es braucht eine Ausrichtung auf andere Werte und Kriterien, andere Leitbilder und andere Ziele, vielleicht auch eine andere Struktur. Statt der großen Tanker könnten flexiblere, kleinere Strukturen, die viel agiler und nachhaltiger sind, eine Lösung sein. (…)

Die großen Institutionen erzählen als erste Reaktion auf die Krise, wie viele Einnahmen sie durch Covid-19 verloren haben. Das ist sicher schmerzhaft, aber der wirtschaftliche Verlust ist das einzige dominierende Thema. (…)

Nur wenige reden über die unfreiwillige Pause als Möglichkeit, neue flexiblere Strukturen zu etablieren oder sich wieder verstärkt auf ihren Bildungsauftrag zu konzentrieren.

Was braucht es zur Unterstützung dieser Transformation und was ist derzeit hinderlich?

Es braucht mehr Mut, mehr starke Stimmen, mehr Allianzen und veränderte Rahmenbedingungen, auch seitens der politischen Subventionsgeber und Eigentümer. Solange man immer wissen will, was rauskommt, solange das Sicherheitsdenken und die Output-Orientierung vorherrscht, gibt es wenig Spielraum für ergebnisoffene Prozesse und Experimente. (…)

Während des Corona-bedingten Shutdowns konnte das System kurzfristig gebrochen werden, nun müsste man den Systemwandel gezielt und konsequent fortsetzen.

Was ist dein gesellschaftlicher Anspruch, wie möchtest du mit deiner Arbeit wirksam sein und Gesellschaftswandel vorantreiben?

Mir geht es um Gestaltung für alle Menschen, damit wir unsere komplexe, herausfordernde Welt und die Dinge um uns besser und einfacher verstehen und benutzen können. Im Idealfall spüren Menschen die Erleichterung, die Verbesserung in vielfältiger Form. Wenn sie das als Feedback an uns zurückgeben, dann ist es die Belohnung für unsere Arbeit.