Lilli Hollein

Eigentlich der Idealfall, wenn man eine Kunstinstitution führt: Dass es eine emotionale Bindung gibt, die weit über den physischen Besuch hinausreicht.

Auszüge aus einem langen und spannenden Gespräch mit Lilli Hollein, Direktorin der Vienna Design Week, über Zukunftswünsche, Herausforderungen, Veränderungsbedarf und Zukunftspotenziale im Zuge der COVID-19 Krise.

Was hat uns die Covid-19-Krise über den Zustand unserer Gesellschaft aufgezeigt und welche Gesellschaft wünschst du dir in Zukunft?

Die Krise hat uns aufgezeigt, dass wir in vielerlei Hinsicht doch gesellschaftsfähiger sind, als man kurz davor noch geglaubt hätte; dass es vielleicht doch eine größere Sehnsucht nach Verbundenheit gibt, zum Beispiel, dass man wieder mit Nachbarn spricht. Gleichzeitig war das eine Reaktion auf einen Schockzustand und ich würde mir wünschen, dass wir nach der Krise nicht vergessen, wie sich das angefühlt hat. Wir dürfen allerdings nicht in einen falschen Nationalismus kippen. Zusammengehörigkeit zu empfinden darf nicht zu einem Mechanismus werden, der große Gruppen exkludiert, wo man neue Grenzen zieht. (…)

In der Kunst hat man gesehen, dass viele Menschen eine wahre Leidenschaft oder tiefe Verankerung im Kunst- und Kulturbereich haben, und dieser Schatz, als er hinter verschlossenen Türen lag, eine neue und durchaus liebevolle Auseinandersetzung hervorgebracht hat, wo sich Leute plötzlich am Küchentisch in ihr Museum träumen. Eigentlich der Idealfall, wenn man eine Kunstinstitution führt: Dass es eine emotionale Bindung gibt, die weit über den physischen Besuch hinausreicht.

Vor welchen Herausforderungen steht die Vienna Design Week, steht der Kunst- & Kulturbetrieb generell, auch langfristig? Was wird sich verändern und wie kann man dem begegnen?

Was für mich aus heutiger Perspektive am bedrohlichsten ist, dass private Mittel in einem Maß wegfallen werden, dass die kulturelle Vielfalt, die wir in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben, deutlich schrumpfen wird. (…)

Das betrifft auch die größeren und etablierten Kunstinstitutionen, die uns als Festival mit aufgebaut haben. Wenn die großen Häuser zunehmend unter Druck kommen, wirkt sich das negativ auf die gesamte Szene aus. (…)

Das, was wir tun, wird ja nicht obsolet. Wir müssen es an manchen Punkten anders machen, wir müssen es kleiner machen. Und wir sind wieder mehr auf öffentliche Rückendeckung angewiesen.Das braucht die österreichische Kunst- & Kulturlandschaft ganz generell, unabhängig von der Größe einer Institution oder Initiative, das Signal der öffentlichen Hand an unserer Gesellschaft, ein klares Bekenntnis zur Wichtigkeit von Kunst und Kultur und der handelnden Akteure. (…)

Eine sinnvolle Maßnahme wäre eine würdige Imagekampagne, die diese Wichtigkeit verdeutlicht, die uns zeigt, dass alles, worauf wir zurückschauen und was jeder als Identität dieses Landes schnell umreißen würde, zu circa 80 Prozent mit der Kunst- und Kulturproduktionen der vergangenen Jahrzehnte oder Jahrhunderte zu tun hat. Und dass man einen solchen Bereich genauso wie im Sport umfänglich unterstützen muss. Wieso verstehen die Leute das im Sport, warum haben die kein Imageproblem? Dort buttert man viel Geld in Leute, von denen in 100 Jahren niemand mehr reden wird. Leistungen in Kunst und Kultur aber überdauern, weil sie für die Gesellschaft wirksam und nutzbar ist.

Was ist das Wirksame, was kann Kunst & Kultur in der Gesellschaft verändern und bewirken?

Veränderung und Akzeptanz. Das sind zwei Dinge, die Kunst und Kultur moderieren können, weil sie diese antizipieren, weil Kunst Entwicklungen früher spürt und die Fähigkeit hat, Zukunft aufzuzeichnen, sie denken zu können. Die Frage ist, wie können wir das deutlich machen, dass das der gesamten Gesellschaft nutzt, dass man sich damit auseinandersetzen muss, mit zukünftigen Veränderungen? (…)

Ich glaube, dass der Kunst- und Kulturbereich schon dafür sorgt, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung oder in der Gesellschaft für vieles wächst, womit sich die Kunst auseinandersetzt. Nehmen wir als Beispiel die Queer-Community. Hier hat die intensive Auseinandersetzung in der Kunst das Thema in einen gesellschaftlich akzeptierten Kontext gebracht. Interessant ist eher die Frage, warum schaffen die Kunstinstitutionen es nicht, für ihre eigene Akzeptanz zu sorgen?

Müssen sich die Kunstinstitutionen dann nicht dahingehend verändern, dass sie mehr zusammenarbeiten, mehr kooperieren und ihre Rolle gemeinsam stärken?

Ja, es braucht eine gewisse Einigkeit und vor allem ein selbstbewusstes Auftreten. Wenn die Botschaften nicht mehr verwaschen werden und ein Museum nicht mehr gleichzeitig ein Eventspace für Wirtschaftsprüferkanzleien ist, dann braucht es ein selbstbewusstes Auftreten.

Trotz der wirtschaftlichen Misere zweifle ich nicht daran, dass im Kunst- und Kulturbereich sehr bald wieder neue Formen entstehen werden. Und ich glaube an die kommenden Generationen, weil die eine andere Form von Partizipation gelernt haben, wo sich Leute vielleicht nie begegnen, aber an einer gemeinsamen Sache arbeiten. Diese neuen Formen an Teilhabe könnten wie Satelliten der Institutionen sein. (…)

Oder auch Communities, die sich ganz freiwillig zusammenschließen. TikTok statt Freundesverein im Museum, Subversivität statt Betuchtheit. TikToker, die ein Stadion lahmlegen, weil sie sich zusammengeschlossen haben, damit es keine Tickets mehr am Markt gibt. Es wird in Zukunft ganz andere Formen brauchen und geben, Institutionen zu unterstützen und sich zu committen.

Woran soll zukünftig der Erfolg von Kunstinstitutionen gemessen werden? Sind Besucherzahlen noch aussagekräftig, vor allem vor den gerade skizzierten Szenarien?

Besucherzahlen allein habe ich nie für das richtige Maß gehalten. Es braucht sicher neue oder zumindest mehr Bewertungsrichtlinien, die sich an gesellschaftlicher Akzeptanz ausrichten. Wir müssen aber auch jene denkerische Avantgarde und Diversität in vielerlei Hinsicht unterstützen, die nicht so einfach gesellschaftliche Akzeptanz finden. Ich denke da an Forschung und eine Auseinandersetzung mit Themen über einen langen Zeitraum, die nicht in einer breitenwirksamen Ausstellung enden, das ist ein genauso wichtiger Teil von Kulturproduktion. (…)

Ich glaube, dass Teilnahme in unterschiedlichsten Formen ein Maß ist. Ist es gelungen, bestimmte Communities anzusprechen? Über welche Kanäle? Was entsteht daraus?

Diese Öffnung ist in vieler Hinsicht ablesbar, an Interaktionen, an Postings, und vielem mehr. Wie tief ist die Auseinandersetzung? Wie sehr habe ich es geschafft, ein Thema zu platzieren? Institutionen und Ausstellungen, über die man diskutiert, auch wenn sie keine Publikumsmagneten sind. Wie viele Leute greifen auf diese Ausstellung Jahre später in ihren Recherchen zu, wie viele Leute referenzieren auf den Katalog?

Auf welche Erfolge ist die Vienna Design Week stolz, abseits der Besucherzahlen?

Ich bin stolz, dass wir sagen können, „In diesen 14 Jahren hat dieses Festival eine ganze Reihe von Karrieren befeuert, eine ganze Reihe von Kontakten möglich gemacht, aus denen Erfolgsgeschichten entstanden sind“. Wir sind eine Plattform zur Ermöglichung, in ganz vieler Hinsicht, und das ist nicht quantifizierbar. Das wäre auch vermessen, Das ist so wie ein guter Gastgeber zu sein. Das schafft man nicht alleine. Jeder muss für sich das Gespräch in Gang halten und etwas aus dem Abend ziehen. Wenn man das nutzt, dann entsteht daraus ein toller Abend und genauso ist es, finde ich, mit Plattformen wie Festivals. Die sind und bleiben in meinen Augen ganz wichtige Momente des Austausches. Momente, wo Szenen europaweit oder international zusammenkommen und ein intellektueller Austausch stattfindet.

Es ist eine Aufgabe, die Kunst und Kultur jetzt wieder stärker denn je hat, die Gesellschaft zu provozieren, zu moderieren, anzuleiten und zu stärken, für eine gerade einmal wieder ungewisse Zukunft und eine Wirtschaftskrise, die, finde ich, immer diese Kunst- und Kulturprovokation als Gegenüber braucht.