Immer mehr Ausstellungen, immer mehr Publikum geht nicht mehr, wir werden uns alle umstellen müssen.
Bettina Leidl, Direktorin des Kunst Haus Wien, und Präsidentin von ICOM Österreich, im Gespräch mit Doris Rothauer über die langfristigen Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die Museumslandschaft
Wieso braucht es noch Museen? Corona hat nicht nur einen plötzlichen Stillstand bewirkt, sondern auch Fragen aufgeworfen, ob es künftig so weitergeht bzw. weitergehen soll, wie bisher.
Die Chance in der Krise liegt darin, sich als Kulturinstitution selber zu befragen, was die eigenen Kernaufgaben sind, und wie man seine Inhalte an wen vermittelt, wenn die reinen Besucherzahlen nicht mehr der dominierende Erfolgsfaktor sein werden und können.
Eine Diskussion, für die, so Bettina Leidl, bisher nie Zeit war. Und die nun nicht zuletzt aufgrund des Wegfalls der Kulturtouristen und der absehbaren Veränderung in der Besucherstruktur relevant und notwendig wird.
Wenn wir die Prognosen ernst nehmen, dass wir nicht mehr oder erst in 5-6 Jahren auf den Stand der Besucherzahlen von 2019 zurückkehren, dann müssen wir die Zeit nutzen, und nicht dem Over-Tourism nachtrauern. Dessen Sinnhaftigkeit ist ja auch eine gesellschaftspolitische Frage.
Für wen Museen da sind? Darauf hat Bettina Leidl eine klare Antwort: für die lokale Bevölkerung, um zentrale gesellschaftliche Themen und Herausforderungen aufzugreifen und zu diskutieren.
Die Krise hat uns in unserer Programmatik bestärkt, den Fokus auf das Verhältnis zwischen Mensch und Natur sowie die Auswirkungen des Klimawandels zu legen. (…)
Viele erreicht Wissen erst als Narrativ. Kunst, die sich mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzt, erzeugt eine Wirkung beim Besucher. Kunst hat die Möglichkeit, sehr komplexe Inhalte greifbar zu machen, Orientierung zu liefern. Künstler schaffen Bilder in unseren Köpfen, die in ihrer Eindrücklichkeit emotionalisieren. (…)
Ein Museumsbesuch ist eine Form der gesellschaftlichen Teilhabe, ein gemeinsames Erleben, das man mit anderen Menschen teilen kann. Museen sind Marktplätze, um gemeinsame Erfahrungen, Reflexion und Austausch zu ermöglichen und zu fördern.
Was bräuchte es, damit diese Wirkung, diese Rolle stärker anerkannt wird, auf breiter Ebene, und was hindert momentan diese Wahrnehmung?
Es braucht ein Umdenken bei den Medien und den politisch Verantwortlichen. Zu sagen, wir haben zig Tausende Besucher, das ist simpel, das versteht jeder. Über Werte, Haltungen und gesellschaftlich relevante Themen zu argumentieren, ist viel schwieriger.
Das Bekenntnis ist klar: Das Umdenken einzuleiten, dazu ist jetzt die Chance!