Ich möchte wegkommen von der Frage, wie viele Leute gehen ins Museum hinein, und hinkommen zu der Frage, wie gehen sie aus dem Museum hinaus? Was passiert mit einem im Museum, was nimmt man mit?

Auszüge aus einem Interview mit Stella Rollig, Generaldirektorin Österreichische Galerie Belvedere

Wenn Stella Rollig über die Herausforderungen angesichts der Corona-Krise reflektiert, dann lässt sich der schwierige Spagat im Alltag einer umsichtigen und verantwortungsbewussten Museumsdirektorin erahnen. Wie einige andere Kunstmuseen von internationalem Rang ist auch das Belvedere ein stark vom Tourismus getriebener und abhängiger Betrieb. In Zahlen bedeutet das: Im Oberen Belvedere bisher 90 Prozent TouristInnen, darunter ein großer Anteil aus Übersee und dem asiatischen Raum, und über alle drei Häuser sind es immer noch 80 Prozent der BesucherInnen in einem touristischen Zusammenhang. Ob man jemals wieder zu diesen Zahlen zurückkehren wird, ist nicht nur eine Frage der Bekämpfung der Pandemie, sondern auch eine Frage der Sinnhaftigkeit. Wünscht man sich das überhaupt?

Nein, natürlich nicht. Ich bin da gespalten, mit zwei Seelen in meiner Brust. Wenn ich als Direktorin des Belvedere spreche, dann muss ich mir wünschen, dass alles wieder so wird wie vorher, weil wir in der glücklichen Lage waren, mehr als 70 Prozent unseres Budgets selbst zu erwirtschaften. Das hat zu Rücklagen von beinahe zehn Millionen, also meines Wissens die höchsten Rücklagen eines Bundesmuseums, geführt, was bedeutet, dass wir uns auch vieles leisten konnten. (…)

Persönlich allerdings, als Bürgerin, als Teil der Gesellschaft,  muss ich feststellen, dass unsere derzeitige gesellschaftliche Entwicklung so nicht weitergehen kann.

Es ist katastrophal, wie sich durch die Industrialisierung und einen völlig entfesselten Kapitalismus die soziale und ökonomische Ungleichheit auf der Welt entwickelt hat, gepaart mit den verheerenden Folgen für das Klima. Der Tourismus, zumindest der Over-Tourismus, ist ein Teil dieser Entwicklung. (…)

Es macht einen Unterschied in der Wahrnehmung und in der Qualität des Aufenthaltes, ob ich mich als Tourist oder als Einheimischer, der jederzeit wiederkommen kann, durch eine Ausstellung bewege. Touristen gehen mit einer höheren Geschwindigkeit durch, orientieren sich an Highlights, legen vornehmlich Wert aufs Fotografieren.

Die zukünftige Herausforderung liegt also darin, den Tourismus, der zumindest in eingeschränktem Maße wünschenswert und notwendig ist, damit zu verbinden, sich mehr auf ein lokales Publikum zu konzentrieren. Ist das nicht auch eine Chance?

Ja. Das ist ja nicht erst seit Corona ein Thema für uns, wobei das bisher zu wenig gesehen worden ist. Die sozialen und anderen Medien werfen den großen Häusern ja gerne vor, sich nur an Touristen auszurichten. Unser gesamtes Kunstvermittlungsprogramm, die ‘Free Friday Nights’, die Einrichtung des Kunstvermittlungsateliers, das Public Program und das Community Outreach Program des Belvedere 21, all das ist klar mit dem Ziel geschaffen worden, mehr einheimisches Publikum anzusprechen. (…)

Mein Ansatz ist es, Ausstellungen und Programme zu machen, die dazu herausfordern, sich immer wieder neu auseinanderzusetzen, mit der Kunst, mit sich selbst, mit der Gesellschaft, mit der Welt. Die Chance und Hoffnung wäre, dass der gesamte Museumsbetrieb mehr in Richtung Inhalte geht, wo die eigenen Sammlungen eine größere Rolle spielen.

Die Erfahrung der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte ist ja leider, dass man mit der eigenen Sammlung nicht punktet. Man hat zwar vielleicht Highlights, wie wir denn Kuss und die Klimt-Sammlung, das gilt dann als Sehenswürdigkeit, die man gesehen haben muss. Aber eine Sammlung neu auszulegen, Themen aus dem Bestand heraus zu entwickeln, das galt bisher als nicht attraktiv, bedauernswerter Weise. Wenn man zukünftig durch kontinuierliche Arbeit vermitteln kann, wie attraktiv und wie interessant eine zeitgemäße, gesellschaftspolitisch aktuelle Auseinandersetzung mit der eigenen Sammlung sein kann, dann ist das wirklich eine Chance!

Ansätze wie diese werfen die Frage nach der gesellschaftlichen Wirkung, der positiven Veränderung in der Gesellschaft auf, die beim einzelnen Besucher beginnt. Welche Wirkung kann und soll eine Kunstinstitution wie ein Museum beim Besucher erzielen? Ist das überhaupt ein Thema unter dem Druck nach möglichst vielen Besucherzahlen?

Ich möchte wegkommen von der Frage, wie viele Leute gehen ins Museum hinein, und hinkommen zu der Frage, wie gehen sie aus dem Museum hinaus? Was passiert mit den Besuchern im Museum, was nehmen sie mit?

Bei einem so breit aufgestellten Museum hat man die ganze Bandbreite von BesucherInnen, von sehr informiert bis zu „keine Ahnung, wo bin ich da überhaupt“. Es ist uns wichtig, dass Jeder und Jede etwas mitnehmen kann, was man im Kopf behält und weitererzählt, und so zu einem Teil des eigenen Reservoirs an Geschichten, an Wissen macht, von der Anekdote bis zum Bildungselement.

Was braucht es dazu? Ist das ein Paradigmenwechsel?

Zu diesen Überlegungen beziehe ich das gesamte Team ein, die ganze Institution. Das ist in österreichischen Museen nicht so üblich, dass KuratorInnen und Kunstvermittlung auf Augenhöhe arbeiten, dass die Kunstvermittlung eine führende Rolle spielt. (…)

Die zentrale Frage ist ja, wie kann man ein Museum zu einem Ort machen, an dem Menschen, die hier leben und zu uns kommen, das Haus als ihren Ort wahrnehmen?  Wo sie Zeit verbringen können, die sie als lohnend empfinden und die ihnen hilft, sich selbst mit all ihren Bedürfnissen, aber auch Stärken besser wahrzunehmen. Ein Ort, wo sie mit anderen über die Entwicklung der Gesellschaft nachzudenken, um dann tätig zu werden.