Das Einbeziehen der Besucher, das Museum als sozialer Ort, das stärkere soziale Miteinander, das war zwar in Ansätzen schon vorhanden, bekommt aber nun einen zusätzlichen Antrieb.

Doris Rothauer im Gespräch mit Wolfgang Muchitsch und Sabine Fauland

Wolfgang Muchitsch ist Präsident des Museumsbunds Österreich und wissenschaftlicher Direktor des Universalmuseums Joanneum in Graz, Sabine Fauland ist Geschäftsführerin des Museumsbunds Österreich.

Was zeigt uns die Covid-19-Krise über den Zustand unserer Gesellschaft auf und was heißt das für die Zukunft?

WM: Die Krise zeigt uns auf, dass dort, wo bereits Schwachstellen bestanden haben, Probleme und Schwachstellen nun viel stärker zu Tage treten. Was man im Leben vor Corona gerade noch im Griff gehabt hat, an Problemen gerade noch managen konnte, zeigt sich jetzt als massive Krise. Im Museumsbereich ist das beispielsweise die Rolle der der Vermittlerinnen und Vermittler. Diese Rolle war schon immer zu schwach institutionell gestützt, und das ist jetzt besonders offensichtlich geworden. Oder auch die Frage, wohin sich unsere Institutionen entwickelt haben – die starke Abhängigkeit vom Tourismus und das Abgehen von einer Klientel vor Ort. Das erweist sich jetzt – zumindest für die großen Häuser bzw. jene, die in tourismusstarken Regionen sind –, als großes Problem. (…)

Natürlich würde man sich wünschen, dass die Gesellschaft die derzeitige Krise nutzt, um Schwachstellen auch langfristig in eine geordnete Bahn zu bringen, dass man Probleme, die man lange Zeit umgangen hat, nun wirklich angeht und entsprechend löst. Ob die Gesellschaft dann nach Corona tatsächlich anders ausschauen wird, da fällt mir eine Antwort schwer, aber ich befürchte eher, dass sich die Welt mittel- bis langfristig nicht extrem geändert haben wird.

Was heißt das für die Rolle von Kunst und Kultur ganz generell und für die Rolle der Museen im speziellen?

WM: Es hat sich gezeigt, dass Kunst und Kultur ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens ist und zu den Must-Haves und nicht nur zu den Nice-to-Haves gehört. Kunst und Kultur haben immer schon die Probleme in der Gesellschaft aufgezeigt, in welche Richtung wir laufen bzw. laufen könnten. Der Kunst- und Kulturbereich ist generell in die Zukunft gerichtet.

Bei den Museen zeigt sich die große Abhängigkeit vom Tourismus, die problematische Entwicklung weg von einer Bildungseinrichtung hin zu einem Freizeiterlebnis.

Diese Entwicklung müssen wir jetzt korrigieren. Man muss sich wieder fragen: „was sind eigentlich meine Kernaufgaben, wo ist mein Stammpublikum, welche Funktion habe ich in meiner Region?“ (…)

Was kann ein Museumsbesuch beim lokalen Besucher bewirken? Was können und sollen Besucher/innen mitnehmen? Und wie verbindet sich die Frage nach der Wirkung mit dem gesellschaftlichen Auftrag, mit der Kernaufgabe des Museums? Und kann man als Museum überhaupt positive Veränderung mitgestalten?

WM: Ich glaube schon, dass es unsere hehre Ambition ist, dass wir durch unser Tun und unser Handeln die Welt positiv verändern wollen. Das würde ich allen unseren Kolleginnen und Kollegen zugestehen. Ob das jetzt die Vermittlung von Grundwerten ist, das Arbeiten an der Demokratie, an Menschlichkeit – was auch immer. Das hängt inhaltlich stark von den einzelnen Häusern und den Projekten ab. In einem Naturkundemuseum wird es um schonenden Umgang mit der Umwelt gehen, um Nachhaltigkeit, Ökologie, Klimawandel. In einem militärhistorischen Museum wie bspw. dem Landeszeughaus in Graz geht es darum, Friedensarbeit und Konfliktvermeidung voranzutreiben. Ob solche Ziele und Absichten dann tatsächlich so angenommen werden und wie erfolgreich sie sind, lässt sich schwer messen.

Jeder Museumsbesuch sollte Teil eines lebenslangen Lernens sein.

SF: Es ist ein Besuch einer zeitlich oder örtlich entfernten Welt, wo man grundsätzlich immer etwas Neues lernen kann. Ich denke, in Zukunft wird es darum gehen, Besucher/innen untereinander sowie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr in Kontakt zu bringen, diese Welten besser miteinander zu verschränken.

Diese Krise beschleunigt das Positive ebenso wie das Negative.

WM: Positive Ansätze, die man vor sich hergetragen hat, werden jetzt verstärkt vorangetrieben, ebenso wie sich jetzt Probleme verstärkt zeigen. Das Einbeziehen der Besucher/innen, das Museum als sozialer Ort, das stärkere soziale Miteinander, das war zwar in Ansätzen schon vorhanden, bekommt aber nun einen zusätzlichen Antrieb. (…)

Gibt es ganz konkrete Themen, die Sie als Museumsbund nun angehen, wo Sie sagen: „Das muss sich in den Häusern verändern, damit diese und jene Ziele wieder stärker erreicht werden können?“

WM: Ja, ein Thema ist die Einbeziehung der gesellschaftlichen Rolle in strategische Überlegungen und in Vermittlungsprojekte. Der Vermittlung muss im System Museum ein höherer Stellenwert eingeräumt werden.

Das andere große Thema, das wir uns vorgenommen haben, ist das Messen des Erfolges.

Woran können wir unseren Erfolg abseits von Besuchszahlen messen? Wir verteufeln zwar einerseits die Besuchszahlen, gleichzeitig tragen wir sie aber vor uns her, vor allem wenn sie positiv sind. Jedes Jahr im Jänner gibt es eine Pressemeldung nach der anderen, wo es wieder Rekordbesuche gegeben hat. Das ist ein Teufelskreis, in den man sich hineinbegeben hat, gemeinsam mit den Eigentümern, denn auch die öffentliche Hand zieht ja immer nur die Besuchszahlen heran, wenn es um Erfolge geht. Wir müssen schauen, dass wir aus diesem Teufelskreis rauskommen. Wir sind dabei ein Projekt zu entwickeln, eine neue Balanced Score Card, wo verschiedenste Ziel-Parameter gemessen werden können, allerdings immer vor dem Hintergrund, was quantifizierbar und in Zahlen messbar ist, und wie seriös diese Zahlen sind. Hier interessiert uns besonders, wie sich Qualität damit darstellen lässt.

SF: Entscheidend bei der Entwicklung eines neuen Kennzahlensystems für alle österreichischen Museen wird sein, dass die Vergleichbarkeit zwischen einem großen überregionalen und einem kleinen regionalen Museum gegeben sein muss. Beliebte Parameter sind ja beispielsweise wissenschaftliche Aufsätze oder Pressemeldungen. Aber ein Regionalmuseum kann eventuell einen größeren Impact auf seine direkte Umgebung haben, aber keine Presseberichte oder wissenschaftliche Aufsätze vorweisen. Das wird die größte Herausforderung sein, alle Ebenen der Museumslandschaft mitzudenken.

Soll diese Balanced Score Card Standard in Museen werden? Was ist das Innovative daran?

WM: Der Grundgedanke einer Balanced Score Card ist, dass ich nicht nur auf ein Instrument schaue, sondern dass ich, so wie in einem Flugzeug, eine ganze Instrumententafel habe, wo Geschwindigkeit, Flughöhe, Treibstoff und viele mehr miteinander zu tun haben. Dieser gesamtheitliche Blick, das ist etwas, was im Museumsbereich auch notwendig ist. Es gibt Parameter, die mit dem Museumsbesuch zu tun haben, also natürlich die Besuchszahlen, aber auch Aktivitäten wie Stammkundenbindungen, Schulbesuche, etc. Dann gibt es Parameter im Zusammenhang mit der Sammlung, z. B. der Inventarisierungsgrad der Sammlung, wie hoch ist der Leihverkehr, wie viel der eigenen Sammlung befindet sich in Ausstellungen. Oder wissenschaftliche Parameter, was und wie viel wurde publiziert. Und dann gibt es Parameter, die in die Mitarbeiter/innenschaft hineingehen: wie belastet oder überbelastet sind die Menschen, wie hoch sind Krankenstände, wie hoch sind Mehrstunden und Überstunden, wie hoch ist die Fluktuation. (…)

Wie gehen Sie bei der Erarbeitung eines solchen Instrumentes vor?

SF: Wir haben einen sehr großen Vorstand, da sind fast 40 Institutionen vertreten, mit denen wir die gesamte österreichische Museumslandschaft abdecken können, erweiterte um geladene Gäste möchten wir gemeinsam mit unserem Partner ICG Integrated Consulting Group in mehreren Workshop zu einem geeigneten Vorschlag kommen. Vorausgesetzt wir schaffen die Finanzierung.

WM: Wir wollen das dann immer mehr ausrollen, um zu schauen, welche Parameter sich daraus auch für andere Kulturbetriebe ergeben können.

Sehen Sie Widersprüche in den möglichen Erfolgsparametern zwischen den wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Leitungen? Wird hier unterschiedlich bewertet und vorgegangen? Oder liegt man da sehr eng beisammen?

WM: Im Idealfall ist man natürlich auf einer Schiene, aber in der Realität zeigt sich, dass oft widersprüchliche Ziele verfolgt werden. (…) Natürlich sollte das Management berücksichtigen, was der Kernauftrag des Hauses ist. Ein Museum ist im Kern kein Wirtschaftsunternehmen, sondern ein Bildungs-, ein Sammlungs-, ein Forschungsunternehmen, ein Kulturunternehmen, das zum Teil eigene Gesetzmäßigkeiten hat, die man unterstützen sollte.

Wenn diese Beziehung gut gelebt wird, ist das Management die Unterstützerin der wissenschaftlichen Arbeit und schafft die bestmöglichen Rahmenbedingungen für die Inhalte. (…)

Letztes Thema: Stakeholder-Einbindung. Wer sind – abgesehen vom Eigentümer, den Mitarbeiter/innen und Mitarbeitern, den Besucherinnen und Besuchern – sonst noch relevante Stakeholder im Museumsbereich und was könnte bzw. sollte sich da in Zukunft verändern?

WM: Wir haben im Joanneum ein Gremium – es heißt Kuratorium und besteht seit 1811 –, wo die Einbindung der sogenannten Zivilgesellschaft und der Universitäten vorgesehen ist. Darin sind alle Universitäten vertreten, Religionsgemeinschaften, unsere Freundesvereine – wir haben nicht nur einen, sondern verschiedene Freundesvereine an den unterschiedlichen Standorten, die für uns auch wichtige Multiplikatoren sind –, der schulische Bereich, Gebietskörperschaften, Interessensvertretungen. Vergleichbares kenne ich nur vom Publikumsforum des Hauses der Geschichte Österreich. Die sind die einzigen, die ein großes Publikumsforum haben, in dem 35 verschiedene Institutionen des öffentlichen Lebens Vertreter entsenden. (…)

Wäre das, in die Zukunft gedacht, ein alternatives Führungsmodell im Kulturbereich?

SF: Verkehrt wäre es nicht.

WM: Es hat jedenfalls einen durchaus modernen Ansatz. Ob das für die handelnden Personen so wünschenswert ist, wenn man sich schon mit einer Doppelspitze schwertut, wage ich zu bezweifeln.

Gesellschaftlich gesehen wäre das schon ein interessantes Modell.